Dienstag, 11. März 2014

Curry, Senf und Ketchup (1. Kapitel)


Kommissar Max Berger muss einen ersten Mord lösen, zu dem es viele Zeugen, aber weder Spuren noch Motive gibt. Prof. Liedvogel ist während einer Vorlesung erschossen worden. Der zweite Mord ist grässlicher und führt Berger in die Skinhead-Szene.
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Zum dritten Male krampfte sich sein Magen zusammen. Robert Zimmermann verzog sein Gesicht, als wäre ihm Zwiebelsaft in die Augen gespritzt worden. Dabei hatte der letzte Schluck Kaffee sich am Bestimmungsort nur unwohl gefühlt. Der Kaffee hatte den ätzenden Rückweg durch die Speiseröhre angetreten und füllte seinen Mund nun als saure und beißende Brühe.
Er spuckte die heiße Säure ins Spülbecken und wusste, dass sein Magen keinen Spaß mehr verstand. War immer ein übles Zeichen, wenn der Körper sich meldete, wenn der Magen meinte sich eigenwillig aufspielen zu müssen, weil drogistische Hilfen nicht länger geschätzt wurden.
Wenn der Körper Kaffee also zum Kotzen fand, dann mussten andere Mittel her, um seine Schaffenskraft auf Trab zu halten, denn Professor Liedvogel war noch humorloser als sein Magen. Was nicht perfekt war, wurde von Liedvogel so verrissen, dass man sich wünschte, niemals ein Seminar bei ihm besucht, ja, niemals eine Uni von innen gesehen zu haben.
Aber das Ende war in Sicht. Nach drei durchwachten Tagen und Nächten konnte Robert manch Gutes, wenn nicht Großes abliefern, um dem Liedvogelschen Fallbeil zu entgehen. War keine Kleinigkeit Liedvogels Schnabel zu schließen, war ungefähr so wahrscheinlich wie ein funktionierender Computer über mehr als drei Tage. Liedvogels Gnadenlosigkeit hatte volkswirtschaftlich äußerst positive Wirkungen. Seine Studenten, häufig Ex-Studenten, sorgten für volle Sprechstunden bei Quacksalbern jeder Couleur und sie unterstützten neben der Pillenindustrie ungefähr die Hälfte der Paderborner Kneipen.
Erst im letzten Semester konferierte der gesamte Psycho-Fachbereich sechs Stunden, um einen Sprungbereiten vom Turm zu locken. Scheußlich spannende Szene. Bis er endlich sprang. (Alternative für Zartbesaitete: Bis er dann doch nicht sprang.)
Zimmermann rieb sich mit seinen Zeigefingerknöcheln beinahe die Augen aus dem Kopf. Eine Nasevoll und dann noch einmal totale Konzentration, damit die Endversion und nicht etwa eine Zwischenarbeit durchs Kabel rauschte. Wäre ein Desaster! Ich piss mir in die Hose, wenn Liedvogel den Kopf zur linken Schulter senkt.
Eine Woche Komatrinken hatte Zimmermann über die letzte Katastrophe gerettet. Dieses Mal gab es nur zwei Möglichkeiten - Taxifahrer oder Sprung vom Turm. Was ungefähr das Gleiche war.
Jetzt nur nicht vergessen, die Datei an die Mail zu hängen. Selbst solche Lappalien reizten Liedvogel zu enormen Aufschwüngen seiner Lust an sarkastischer Erniedrigung. So, jetzt noch ein Mausklick auf den Sendeknopf. Ab die Post!
Die Kiste aus und in die Kiste rein waren kaum getrennte Vorgänge, reines Fließen. Nichts als tiefer, tiefer Schlaf!!
Um 16.30 Uhr wachte Robert auf, blickte auf den Wecker und hatte noch eine halbe Stunde. Neben dem Bett die Hose. Er sprang hinein, bückte sich, warf Arme und Hemd in die Luft und rieb sich durch die Augen. Fertig! In einem Pappschälchen vergammelten zwei altersgraue Stückchen Currywurst. Auf Ekelgefühle nahm Roberts Hunger keine Rücksicht. Zu den kalten Hochfettinnereienrollen schlürfte er Kaffe und eilte zur Uni.
Um 16 Uhr öffnete Professor Liedvogel die E-Mail und grinste, als er die Sendezeit las: 03:23. Er ließ den Drucker schnurren, nahm aus einem Hängeordner die Arbeit von Ole Nieljung, blätterte hinein, neigte den Kopf zur linken Schulter und mit verkniffenen Mundwinkeln warf er Nieljungs Arbeit auf den Schreibtisch.
An einer Pinnwand hing ein Poster mit einer Rakete, die das Universum durchquerte und im Schlepp ein Banner zog mit den Worten: „Make big plans!“ Natürlich wusste Liedvogel, dass seine Kollegen das für großmäulig hielten. Wer nicht mithalten konnte, war eben zu neidischem Schielen verdammt. Mickrige Gefühle, mickriger Köpfe! Hauptsache, seine Mitarbeiter wussten, was ihr Chef bewegte: 30 Stellen hatte Liedvogel an seinem Paderborner „Medien Center“ geschaffen. Ganze drei davon bezahlte die Uni selbst, alle anderen wurden durch Drittmittel finanziert.
Er blickte auf seine Uhr, rupfte den Aufsatz von Zimmermann aus dem Schacht des Druckers, überflog das Vorwort und las die erste echte Seite. Er nickte hier, neigte dort den Kopf zur gefährlichen Schulter und schob sein starkes Kinn vor.
Liedvogel blickte abermals auf seine Uhr, schaute dann zur Tür, schloss eine Schreibtischschublade auf und nahm ein Fläschchen heraus. Eine violette Pille kullerte in seine Handfläche, er führte sie zum Mund und warf den Kopf schluckend in die Luft wie ein Reiher, der einen Fisch durch den Schlund würgt. Es ist ein Wunder, dachte Liedvogel und summte eine Melodie. Ein Lächeln, im Husch da, im Husch vorüber. Die Melodie, vorher ein Nichts, nachher ein Nichts, kommt als Gespenst wieder und stört die Ruhe eines späteren Augenblicks. Robert Zimmermann hätte den Song als „Mother’s Little Helper“ identifiziert, weil er sich mit so was  auskannte. Wahrlich kein Wunder bei seinem Namen. Aber Robert Zimmermann war zu spät.

Zur Besprechung mit Liedvogel federte er den Korridor hinunter, als käme er gerade aus einem Seminar über die glückbringende Wirkung von Mimik und Bewegung. Und was verriet sein Gesicht mit der messerscharfen Nase? Grinse außen, dann grinst du auch innen. Seminarziel erreicht!
Die Faust von Liedvogel reichte bis in Roberts Eingeweide. Sein Magen eine zusammengepresste Blechdose. Alle verwünschten Liedvogel, aber alle hingen auch an seinen Lippen und lechzten nach seinem Lob und nichts weniger als das erwartete Zimmermann für seinen Aufsatz.
Ganz außerordentliche Ergebnisse hatte er zutage gefördert. Sah sich schon in der „Kulturzeit“, hörte die einführenden Worte von Zobel: „Eben erschien in Paderborn eine sensationelle Untersuchung. Zu Gast heute Abend im Studio der Medienwissenschaftler Robert Zimmermann. Bevor wir über Einzelheiten sprechen, möchte ich Sie bitten, die Ergebnisse Ihrer Studie kurz vorzutragen. Schon der Titel ist ein Knaller.“
„Ja gern, Herr Zobel. Mein Aufsatz heißt: Das Fernsehen als lebensförderndes Palliativum für Senioren.“
„Sehr schön, ganz famos, sensationell!“, sagte Zobel.
Vor der Tür zum Liedvogelschen Büro zögerte Robert einen Wimpernschlag lang und seine Haare gaben preis, welche Unwetter sich in seiner Kuppel entluden. Sie standen zu Berge und flirrten wie Kolibriflügel. Doch, doch der Aufsatz war ein kolossaler Wurf! Die Sprache kernig und männlich wie bei Schopenhauer. Und dann erst die Ergebnisse, so überraschend wie neu; der Durchbruch war da! Gedanken wie Axthiebe! Sein Anklopfen entsprach dem anschwellenden Sturm in seinem Hirn.

„Zimmermann, na endlich!“ Liedvogel blickte auf seine Uhr. „Wegen der zehn Minuten brauchen Sie die Tür nicht gleich einzuhämmern. Hier Zimmermann!“
Liedvogel warf ihm einen Aufsatz zu. „Mist! Überarbeiten!“ Zimmermanns käsiges und hagerknochiges Gesicht verfärbte sich, wurde nicht gerade puterrot, aber immerhin bekamen seine Wangen etwas Rosiges.
„Wie bitte?“
„Setzen Sie sich mit Nieljung zusammen, so geht das nicht. Er lieferte schon gestern und ist uneinsichtig, sieht nicht, welche Plattitüden er da aneinanderreiht. Und die Sprache, sie müssen da mit dem Hobel ran Zimmermann. Nieljung ist ein Schwachkopf. Selbst bei Orkan fällt der Apfel eben nicht weit vom Stamm. Ich habe ihn rausgeworfen. Aber das hier erledigen Sie noch zusammen mit ihm.“
„Nieljung rausgeworfen?“
„Wollen Sie ihn weiterhin mit durchziehen, Zimmermann?“
„Hat der Stamm schon angerufen?“
„Nein!“
„Macht er denn noch mit, nach dem Rauswurf. An dem Aufsatz meine ich?“
„Er glaubt noch nicht so richtig dran, machen Sie mal. Und nun zu ihren Geistesblitzen. Nachtarbeiter wie?“
An einem Dutzend Stellen pappten Zettel zwischen den Seiten seines Aufsatzes. Ein gutes Zeichen, ein bedrohliches Zeichen? Waren das die Stellen mit den kräftigen Thesen oder den noch kühneren Folgerungen?
„Setzen Sie sich. Kommen Sie her!“ So nah, so nah war Zimmermann unheimlich, und schon hatte er sich gestochen an der Liedvogelschen Au, Au, Aura.
Gemeinsam schauten sie in den Aufsatz. Pluszeichen hielten den Fragezeichen die Waage. Auf den ersten beiden Seiten.
„Zimmermann, das hier“, Liedvogel tippte auf unterschlängelte Stellen, „das ist gut, wirklich stark.“
Wie bitte? Zimmermanns Geist machte dicht. Was? Wie? Wo ist das Aber? Kommt kein Aber? Das sei gut, sei gar stark?
„Aber“, fuhr Liedvogel fort, „um Himmels willen, erfinden Sie eine authentische Quelle. Zum Beispiel eine Umfrage unter Senioren, nehmen Sie meinetwegen Ihre Großmutter, aber verweisen Sie doch nicht auf einen Roman als Belegmaterial für ihre Thesen.“
Eine Großmutter wollte Robert wohl erfinden, eine Kleinigkeit. Die Rettung aus der stachligen Aura trat ins Büro. Chrissi Hains überreichte Zimmermann eine Kopie seines Aufsatzes und so konnte er Reißaus nehmen aus der Liedvogelschen Stachelaura.

Liedvogel nahm den Seiteneingang zum Hörsaal, denn schon eine Viertelstunde vor dem Beginn der Vorlesung waren auch die Treppenstufen des Saals besetzt. „Durch die Katakomben“, wie er es nannte. Zimmermann hörte etwas anderes hindurch, Liedvogels Eitelkeit, seine Enttäuschung darüber keinen Auftritt zu haben, nicht die Treppe hinuntertänzeln zu können.
Chrissi und Robert warfen die Maschinerie in Gang. Robert fuhr die Leinwand hinunter, Chrissi legte die DVD ein, positionierte den Beamer und drehte am Objektiv, bis das Bild scharf war. Liedvogel war ein Liebhaber des Details, das Große und Grobe bekamen auch die Doofen mit, aufs Feine und Kleine kam es ihm an und auf den Subtext, besonders den Subtext und den ironischen Blick.
Und was wurde gegeben? Hier wurde nichts gegeben! Liedvogel hielt eine Vorlesung mit dem Titel: „Paradoxie und Selbstreferenz im modernen Film.“
Nach der ersten Szene, ein hysterisches Pärchen überfällt ein Restaurant, stoppte Chrissi den Computer und Liedvogel erklärte, was alle gesehen, aber im feinen Detail eben doch nicht gesehen hatten. Denn Studenten sahen nun mal nichts, dazu brauchten sie die Augen eines großen Gelehrten. Erst der setzte ihnen Augen ein. Und wer sähe mehr und tiefer als ein deutscher Denker?
Zimmermann sah allerdings kaum etwas, dazu war ihm viel zu warm, zu wohlig, so dämmersüchtig zumute, so zum Gähnen gemütlich!
Vier Schüsse reißen seinen Kopf hoch. Aus tiefem Traum erwacht, kann er noch gerade sein letztes Traumbild mit in den Hörsaal herüberzerren: Charles Bronson mit Mundharmonika. Doch kein Mundharmonikaspiel-mir-das-Lied-vom-Tod im Hörsaal. Es ist ruhig im Saal und auf den Stufen. Eine entsetzliche Stille! So still wie nach den vier Schüssen in seinem Traum. Das Bild läuft nicht mehr, Liedvogel spricht nicht mehr. Einer liegt vor der Leinwand.
Ein Pistolenschuss zurück! Zimmermann träumte noch von Cowboys im Staube von Arizona oder Utah und Chrissi, ihre Hand noch auf der Maus, wartete noch auf den Wink von Liedvogel, als ihr Harry auf die Schulter tippte. „Was machst du danach?“ „Gleich, gleich, sei still!“
Sie drehte sich wieder um und blickte zu Liedvogel hinunter. Er winkte und dann knallte es aus der erhobenen Hand und der Mann ging zur Seitentür hinaus, durch die sie vor einer halben Stunde gekommen waren. Aber es war nicht Liedvogel, der gewinkt hatte und nun hinausging. Liedvogel lag vor der Leinwand.

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