Mittwoch, 16. April 2014

Raumkunst mit Onyxträne (erster Teil)

Raumkunst mit Onyxträne (erster Teil einer kurzen Geschichte)
Kommen Sie nur herein! Nur keine Scheu! Schauen Sie sich um in meiner kleinen Wohnung. Richtig geraten, ich bin ein preisgekrönter Einbrecher. Und welcher Eindruck drängt sich Ihnen auf? Doch wohl einen Künstler in seinem Metier anzutreffen, denn der Raum fließt über von Gegenständen. Nicht nur ist jeder Quadratmeter des Bodens von meinen Mitbringseln bedeckt, nein, sogar mein Balkon ist komplett vollgepfropft mit Kartons, antiken Uhren und Hightech-Schnickschnack. Alles in Öltuch eingeschlagen und mit Gummibändern gegen die Angriffe des Wetters gesichert.
Ich fand Einbrechen immer so einfach, müssen Sie wissen. Ohne prahlen zu wollen, aber ich bin nichts weniger als ein Genie auf meinem Gebiet. Und so musste der Zeitpunkt kommen, dass es in der Wohnung keinen Raum mehr gab. Keinen Platz mehr für das winzigste neue Stück.
Dreimal, fünfmal, blickte ich über meine Schulter zurück, aber den entzückenden Siebdruck „Bluecat“ von Herman musste ich hängen lassen. Schweren Herzens! Einfach kein Platz. Wenn ich nun des Nachts in die schlaflose Dunkelheit starre, dann löst sich das grinsende Katzengesicht aus dem leuchtenden Blau, und ich frage mich allen Ernstes, ob ich nicht Platz schaffen soll. Einen Picasso raus und einen Herman rein. Aber noch einmal dasselbe Objekt heimzusuchen, widerspräche meinem professionellen Ethos. Ich musste Platz machen.
Eines Nachmittags, an einem Mittwoch, besuchte ich eine Luxuswohnung in der Nähe der Fischteiche. Auf den ersten Blick wusste ich, dass ich einen Fehler begangen hatte. Das falsche Haus. Mir war versichert worden, dass die Wohnung einem kunstkundigen Kiesgrubenbesitzer gehöre, der im Übrigen in einer Stunde mehr Geld mache, als die meisten Menschen in einem Jahr ausgaben.
Doch da stand ich Narr in einem enormen Raum, fast leer bis auf die nervösen Staubpartikel im Sonnenlicht. Möbliert war das Zimmer mit drei Bodenkissen und einem ängstlichen Tischchen in einer Ecke. Es gab keinen Teppich, keine Vorhänge, keine Stereoanlage. Nicht einmal einen Fernseher gab es, nach dem normale Leute ihre Möbel ausrichten.
Ein flüchtiger Gang durch die anderen Räume offenbarte das gleiche deprimierende Fehlen von Dingen. Im Schlafzimmer lag ein aufgerollter Futon. Um den Platz in einem Kühlschränkchen in der Küche stritten sich eine Flasche Mineralwasser, eine Flasche Champagner und ein Karton Orangensaft. Der Champagner hatte vermutlich die Hälfte des Sozialprodukts eines mittleren afrikanischen Staates gekostet, aber mal unter uns, du brichst doch nicht am strahlenden Nachmittag in eine Luxusherberge für eine Flasche Sprudelwein.
Es war schlichtweg ärgerlich, offenbar hatte der Bursche etwas gegen Einbrecher.
Der Hauptraum, ihn Wohn-Zimmer zu nennen, wäre albern gewesen. Er wurde von einem Kunstwerk dominiert. Ich hatte dem Ding keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, ist schließlich absurd in meinem Beruf sich mit Objekten zu beschäftigen, die nicht angehoben werden können. Und das war absolut sicher kein Ding, das geschultert werden konnte. Es hatte die Größe eines Bettes und war sicherlich so schwer wie ein Elefant. Selbst wenn ich’s dort rausbekommen hätte, mein Balkon war zu klein oder wäre abgebrochen. Aus Onyx dachte ich und gab dem tränenförmigen Objekt einen geistesabwesenden Klaps, als mir aufging, was hier los war.
Ich blickte mich noch einmal gründlich im Raum um und dieses Mal bemerkte ich, was es war. Ganz bestimmt keine Kuschelhöhle, sondern eine Lifestyle-Message. Dieser Kiesgrubenkrösus war ein Minimalist. Ein Raum ganz nackt außer den nötigsten splitternackten Dingen, ja, Dinge so nackt, sie hätten wegen öffentlichen Ärgernisses angeklagt werden müssen. Und in dem nackten Raum nur ein simples Kunstwerk, das vermutlich so viel gekostet hatte wie die gesamte Wohnung. Ich hätte es sofort sehen müssen, aber bei all dem blendenden Licht im Raum.
Dieser Kiesmacher gab eine Erklärung ab: „Ich habe wenig, aber alles von großem Wert, warum sollte ich mich darum scheren, Dinge von geringerem Wert zu besitzen?“ Und grinsend fügte er hinzu: „Bitte sehr, raub mich doch aus, genieße den Orangensaft, du Arsch!“
Ich war so angewidert, für einen Moment überlegte ich sogar, dem Fußboden etwas Abscheuliches anzutun. Oder die Bodenkissen aus ihrer künstlichen Ruhe zu bringen, das ängstliche Tischchen aus der Ecke zu zerren, um es an der Träne zu zerschlagen, das würde seine minimalistische Symmetrie durcheinanderbringen.
Aber ich konnte nicht. Schließlich war ich ein Einbrecher, der Dinge nahm, aber nicht zurückließ. Nur, dass dieses Mal nichts zu …
Doch es gab etwas.
Fortsetzung folgt

Taten ohne Täter
Theo Kremer unterrichtet Englisch an einer Schule, an der erwachsene Schüler ihr Abitur nachholen. Theo gehört zum üblichen Zoo von Lehrern und ist gesegnet mit einem robusten Ego. Doch dann widerfahren ihm Dinge, die er nicht erklären kann.
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