Freitag, 18. April 2014

Raumkunst mit Onyxträne (letzter Teil)

Raumkunst mit Onyxträne (letzter Teil einer kurzen Geschichte)
Eine Woche später wurde ich gegen vier in der Frühe wachgeklingelt. Fäuste hämmerten gegen die Eingangstür. Zwei Polizisten in Jeans standen grinsend auf meiner Willkommens-Matte.
„Sie ziehen sich besser was an“, sagte der mit breitem Kopf.
„Dies ist ein Durchsuchungsbefehl“, sagte der leicht nach vorn gebeugte Winzling.
„Weshalb?“, fragte ich.
„Sie sind gesehen worden, als Sie den Tatort verlassen haben. Wir haben einen Zeugen.“ Der Breitköpfige rollte auf seine Zehenspitzen.
„Ich verstehe.“ Ich zitterte. Es war kalt bei geöffneter Tür. „Bitte, kommen Sie herein!“
Sie machten sich an die Arbeit, während ich in die Hose sprang und mich auf eine Kiste im Flur setzte. Der Gedanke ans Gefängnis kam von allein und beim Anzünden der Zigarette die Frage, wie es wäre dort alt zu werden.
„Hallo, bitte hier unterschreiben!“
Ich sprang auf, hatte den Kleinen nicht kommen gehört, ließ die Zigarette fallen, während er sich über mich beugte und mir ein Blatt und einen Kuli in die Hände drückte. Sein Gesicht war verschwitzt und schwarz vor Ärger. Ich unterschrieb, sie gingen.
Ich brauchte ein paar Atemzüge, bevor mir klar wurde, was das bedeutete. Sie hatten nicht gefunden, wonach sie suchten. Zwei routinierte Polizeibeamte hatten jeden Zentimeter der Wohnung durchsucht, zum Überlaufen voll mit Beweisstücken, aber nichts gefunden.
Er war verschwunden. Ich blickte mich um und verstand, warum die Polizisten den Raum nicht gefunden hatten, den ich vom Kiesbuddler geholt hatte. Sie hatten ihn nicht gefunden, weil er nicht mehr da war. Ich war beraubt worden.
Als ich wieder in dem riesigen Raum mit seiner absurden Träne und seinen extravaganten Fenstern stand, kehrte mein Ärger zurück, von einem Schreck begleitet. Ich hatte bei meinen ersten Besuchen nicht den gesamten Raum mitgenommen, sondern nur, was ich gebrauchen und tragen konnte. Zurückgekehrt war ich in der Absicht, meinen zusammengeschrumpften Vorrat wieder aufzufüllen. Was ich nicht erwartet hatte, was dies.
Des Kiesgrubenbesitzers Wohnung enthielt genauso viel Raum wie zuvor. Ich starrte die Onyxträne an, die massiv und unbewegt auf ihrer Stelle hockte und augenblicklich durchrieselte mich die Erkenntnis meiner kolossalen Bedeutungslosigkeit. Was meine Schultern noch gerade hatten tragen können, so viel Raum hatte ich aus dem Haus geschleppt. Und nun? Nicht einmal eine Delle hatte ich gemacht im Reichtum dieses Onyxfreundes. Hatten meine Besuche diesem minimalistischen Kiesgrubenbesitzer auch nur Unannehmlichkeiten bereitet? Nicht wahrscheinlich! Vermutlich hatte er einen Anruf gemacht und der neue Raum wurde in einer Stunde geliefert. Für diese Sorte spuckten die Versicherungen das Verlangte klaglos aus.
Wenn nicht … Konnte es sein, war es wirklich möglich, dass dies der gleiche Raum war, genau der gleiche Raum? Als sie mich einmal zwischen ihren Zähnen hatte, wollte diese Idee mich nicht mehr loslassen. Konnte der Kiesgrubenheini den Raum von mir zurückgestohlen oder jemanden angeheuert haben, der den Job für ihn erledigte? Nicht wahrscheinlich, aber unbestreitbar plausibel. Und wozu brauchte der eingebildete Sack den Raum überhaupt, er benutzte doch nicht einmal ein Viertel davon. Ganz ehrlich gesagt, dieser letzte Gedanke, mit dem ich lauthals die kompakte Träne beeindrucken wollte, gab mir den Rest.
Früh am nächsten Morgen, nach einer durchwälzten Nacht mietete ich einen geräumigen Transporter und fuhr zum Haus des Kiesschürfers. Ich brauchte den ganzen Tag und all meine Kräfte und mehr Genialität, als ich zu besitzen glaubte. Zugleich ruinierte ich für immer meinen über Jahrzehnte hochgezüchteten Einbrecherinstinkt. Aber als die Sonne sank und die Straßen sich füllten, war ich fertig. Eine poplige Befriedigung, könnte man einwenden, aber etwas Besseres war mir nicht eingefallen und mein Werk befriedigte mich ganz und gar.
Ich konnte dem Kerl den Raum nicht nehmen, das hatte ich jetzt verstanden, konnte ihn nicht besitzen oder doch nur für einen Moment und ihm konnte er nicht vorenthalten werden oder doch nur für den Moment, bis er seinen Reichtum spielen ließ und den Raum ersetzte. Aber wenn ich ihm den Raum schon nicht wegnehmen konnte, konnte ich ihn zumindest vollstopfen.
Als ich mir endlich die Hände rieb, war der Raum des Grubenbesitzers so unsichtbar wie seine modischen Dielen und seine geschmackvoll leeren Wände und seine albern hohen Decken. Von oben bis unten und von Seite zu Seite gab es keinen Zentimeter des abscheulich schönen Raumes, der nicht besetzt war von Hightech-Camcordern, Staubsaugern, anderer Leute unschätzbaren Erbstücken, Sportuhren und Porzellanmodellen deutscher Schäferhunde. Alles voll, bis auf ein paar freie Meter. Ein einziger Pfad führte von seiner Eingangstür quer durchs Wohnzimmer bis zu seiner Onyx-bekloppten-Träne. Hin war die minimalistische Message.
Ich kannte ihn inzwischen, kannte ihn wie mich selbst, natürlich nicht persönlich, aber genau. Mir war klar, was ich seinem Raum zugefügt hatte, würde ihn für den Minimalisten unmöglich machen. Glücklich, oder doch irgendwo in dieser Gefühlsgegend ging ich heim. Leise knirschte der Schlüssel im Schloss und leise glucksend fragte ich mich, welche Versicherungspolice, selbst für einen geschätzten Klienten, diese Schadensart abdecken könnte.
Ich trat in den Flur meiner Wohnung und konnte nicht glauben, was ich sah. War dies ein grausamer Streich? Woher war das alles gekommen? Sämtliche Räume waren bis zu den Decken vollgestopft mit Raum.

Curry, Senf und Ketchup — Friedrich Wulf
Kommissar Max Berger muss einen ersten Mord lösen, zu dem es viele Zeugen, aber weder Spuren noch Motive gibt. Prof. Liedvogel ist während einer Vorlesung erschossen worden. Der zweite Mord ist grässlicher und führt Berger in die Skinhead-Szene.
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